Leseprobe "Tödliche Berührung"
Der erste Band der Romantic-Fantasy-Reihe "Cursed Ones"
Kapitel 1
In einem Kaleidoskop aus dem Licht der Straßenlaternen, der Autoscheinwerfer und der unzähligen bunten, blinkenden Reklametafeln, zog die Stadt, die niemals schlief, an Van vorbei. Getrennt nur durch eine Autoscheibe, drang dumpf der Lärm der City zu ihm herein und übertönte dabei fast die Radiomusik des Fahrers. Obwohl es bereits nach zehn Uhr in der Nacht war, schob sich eine endlose Blechkolonne den FDR Drive hinunter in Richtung Lower East Side.
Es waren Zeiten wie diese, in denen Van sich wünschte, er könnte die U-Bahn benutzen. Doch das ging nicht, also saß er in einem Taxi Richtung Brooklyn und nicht in den Linien B und F.
In dem gelben Wagen roch es nach kaltem Kaffee und süßlichem Aftershave. Die Rückbank war durchgesessen und wie immer hatte Van alle Mühe gehabt, seine langen Beine in dem engen Raum unterzubringen. Wiederholt änderte er seine Sitzposition, aber bequem war etwas anderes.
Doch die Hoffnung, dass sie bald ankamen, zerschlug sich, als sich das Taxi auf die Brooklyn Bridge einfädelte – auf der natürlich Stau war. Van seufzte leise und lehnte seinen Kopf zurück an die Nackenstütze. Die Lichter der Stadt glitzerten auf dem dunklen Fluss wie früher die Sterne. Bevor es elektrisches Licht gab und die Menschheit sich nicht mehr nur auf Fackeln und Kerzen hatte verlassen müssen.
Schöne neue Welt, dachte Van und zog sein Smartphone heraus. Er scrollte durch die Messenger-App, checkte seine E-Mails und tippte einige Nachrichten.
Fünfzehn Minuten später hatten sie endlich das andere Ufer erreicht. Van steckte sein Smartphone weg und schlüpfte stattdessen wieder in seine Handschuhe. Das schwarze Leder war vom vielen Tragen weich und schmiegte sich eng um seine Finger.
Kurz darauf hielt der Wagen endlich an der Zieladresse an.
„Das macht neunzig Dollar“, sagte der Taxifahrer, schaltete die Innenraumbeleuchtung an und drehte sich halb zu Van um. „Zahlen Sie bar oder mit Kreditkarte?“
Van zog sein Portemonnaie heraus, zählte die Scheine ab und reichte sie durch das schmale Fenster im Sicherheitsglas. „Stimmt so.“
Van öffnete die Tür und hörte den Fahrer nach Luft schnappen. „Wow, danke Sir! Ich chauffiere Sie jederzeit gerne wieder. Fragen Sie in der Zentrale nach Jimmy! Ich würde mich –“
Van schloss die Wagentür und schnitt damit die restlichen Worte des Fahrers ab. Mit großen Schritten hielt er auf die nächste Seitengasse zu und verschwand in deren Dämmerlicht, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke.
Waren dreißig Dollar zu viel Trinkgeld gewesen?
Er hatte nicht knausrig sein wollen, da der Mann ausgesehen hatte, als bekäme er nicht genug zu essen. Manchmal hatte Van noch Schwierigkeiten, sich an die ständige Inflation anzupassen. Gefühlt verloren alle Währungen in rasender Geschwindigkeit ihren Wert, sodass er kaum hinterher kam. Deswegen gab er lieber zu viel als zu wenig.
Vika hat diese Probleme nicht, dachte er und grinste. Seine Schwester kannte und beherrschte die Feinheiten des Finanzmarktes wie eine Konzertpianistin ihren Flügel.
Van hingegen … nun, sein Talent lag in einem ganz anderen Metier. Nicht weniger schmutzig und heimtückisch als die Finanzwelt, dafür weit weniger von der Gesellschaft anerkannt. Etwas, das man am besten unbeobachtet und im Schutz der Nacht tat.
So wie jetzt.
Immer weiter ging Van durch die Gassen, überquerte Hinterhöfe und hielt sich von den gut beleuchteten Hauptstraßen fern. Noch einen Block, dann hatte er die richtige Straße erreicht. Laut seinen Informationen müsste sich der Mann in einer Bar aufhalten, in der er mit seinen Kumpels jeden Freitag um diese Zeit pokerte.
Das schmierige Arschloch, dachte Van und presste die Kiefer fest aufeinander. Er hatte es eindeutig verdient, dass ihm das Licht ausgeblasen wurde.
Van bog um die letzte Ecke und hatte die Gasse erreicht, von der er den Hintereingang in die Bar nehmen wollte. Die Straße war schmal, an einer Seite standen mehrere Müllcontainer und zu dem Gestank von Hausabfällen mischte sich der Geruch von Kompost und gammligen Pflanzen.
In dem schummrigen Licht der Straßenlaterne, das immer wieder flackerte, hievte eine Frau mit anmutigen Kurven und feuerrotem Haar einen großen Karton in einen der Container. Sofort blieb Van stehen und verbarg sich halb in einem Lieferanteneingang. Er würde warten, bis die Frau fort war, ehe er weiterging. Je weniger ihn sahen, desto besser.
Als hätten seine Gedanken das Schicksal herausgefordert, traten drei Männer in die Gasse aus eben jener Bar, die Vans Ziel war. Sie lachten laut, steckten sich Zigaretten an und bliesen den Rauch in die Luft. Es dauerte nur einige Augenblicke, dann hatte einer die Rothaarige entdeckt. Der Mann mit schwarzer Basecap stieß seine Kumpels an, nickte in die Richtung der Frau und stieß einen Pfiff aus.
„Hey, Süße!“, rief der Typ mit einem roten Longsleeve. Der dritte mit einem weißen Shirt lachte schmutzig.
Sofort gefror sie mitten in der Bewegung und Van verzog das Gesicht.
Kommt schon, Jungs, dachte er und hoffte noch, dass sie es dabei belassen würden. Doch abermals spuckte ihm das Schicksal mit voller Absicht in die Suppe – und in die der Rothaarigen. Denn die drei Männer kamen auf die Frau zu und ihr schwankender Gang ließ erahnen, dass sie betrunken waren.
„Hau ab“, flüsterte Van und starrte die Frau an. Als hätte sie seinen Rat gehört, ließ sie von den Kartons ab und eilte mit steifen Schritten in Richtung des Hinterausgangs eines Blumenladens. Es musste der Laden sein, über den Van bei seiner Recherche über seine Zielperson und dessen Lieblingsbar gestolpert war.
Nur noch drei Meter, zwei …
… und der Trunkenbold mit dem weißen Shirt stellte sich zwischen die Frau und die Tür.
„Warum so eilig, hübsche Lady?“, fragte Schwarze-Basecap schmierig.
Die Frau starrte ihn an, ihre Haltung aufrecht und furchtlos. „Lassen Sie mich vorbei.“
„Ach, sei nicht so“, forderte Rotes-Longsleeve und kicherte. „Wir wollen uns doch nur mit dir unterhalten. Wie heißt du?“
„Das geht Sie nichts an“, konterte die Rothaarige. „Und jetzt lassen Sie mich bitte vorbei, ich habe noch etwas zu erledigen.“
Wieder lachten die drei Männer und statt sich zurückzuziehen, kamen sie ihr noch näher. Van hatte ein echt mieses Gefühl bei der Sache, dennoch bewegte er sich keinen Meter.
Er war kein Held, kein Retter in der Not, kein Ritter in strahlender Rüstung.
Nein, er war eher der schwarze Mann. Das Monster, mit dem Eltern ihren Kindern Angst machten, damit sie sich gut benahmen. Er hatte schon vor Jahrhunderten aufgehört, sich emotional in die Belange der Menschen einzumischen – denn anderenfalls hätte es ihn schlicht aufgefressen, all ihre Probleme zu seinen eigenen zu machen.
Van warf einen letzten Blick auf die drei Männer und die Frau. Da die Typen nun näher an seiner Position waren, erkannte er auch ihre Gesichter – und ein Ruck ging durch Vans Körper.
Der Dürre mit dem weißen Shirt und Dreitagebart, das war er: Walter Gatlin, zweiundfünfzig Jahre alt, zweimal geschieden und der Drogendealer, den Van für das gegnerische Kartell ausschalten sollte. Mr. Gatlins Kumpels gehörten auch zu seinem Drogengeschäft.
Ein Grinsen breitete sich auf Vans Gesicht aus und erleichtert sanken seine Schultern nach unten. Wenn das so war, dann war es völlig in Ordnung, wenn er sich jetzt einmischte. Schließlich gehörte es dann zu seinem Job.
„Gentlemen“, sagte er laut und trat aus dem Schatten in die Gasse. „Ist das die Art, wie man eine Lady behandelt?“
Sofort drehten sich die drei Typen zu ihm um, ihre Mienen schwankend zwischen Überraschung und Ärgernis.
„Verpiss dich“, zischte Schwarze-Basecap.
„Tut mir leid, das kann ich leider nicht tun.“
Nur noch ein paar Schritte, dann hätte Van die drei Mistkerle und die Frau erreicht. Er biss in die Kuppe seines rechten Mittelfingers, um den Handschuh auszuziehen. Nur Sekunden später streifte kühle Luft seine Haut.
„Treten Sie bitte zurück, Ma’am“, bat Van.
Rotes-Longsleeve spuckte vor ihm auf den Boden. „Hast du was mit den Ohren? Wir haben gesagt, du sollst dich verpissen. Das hier geht dich nichts an.“
O doch, dachte Van, holte aus und verpasste Rotes-Longsleeve eine Ohrfeige. Sofort brannte seine Handfläche von dem Schlag. Der Mann grunzte, taumelte zurück und krachte gegen die Müllcontainer.
„Du Wichser!“, brüllte Mr. Gatlin. Er wollte sich auf Van stürzen, doch der drehte sich zur Seite und verpasste Mr. Gatlin einen Faustschlag gegen die Schläfe. Sofort sackte der zu Boden und hielt sich schreiend den Kopf.
Van drehte sich zu dem letzten der Rüpel um und ging auf ihn zu. Die Augen von Schwarze-Basecap weiteten sich. Er packte die Frau am Arm und stieß sie in Vans Richtung.
Kalte Angst erfasste Van, er versuchte, der strauchelnden Frau auszuweichen, doch da geschah es: In dem Bemühen, nicht hinzufallen, griff die Rothaarige nach seinem Arm und streifte dabei mit ihren Fingern seine unbedeckte Hand. Sofort drehte sich Van zur Seite und schob sie mit seiner bedeckten Schulter von sich, in der Hoffnung, dass er sich den Kontakt nur eingebildet hatte.
Wie kindisch.
Ihm blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Schwarze-Basecap nutzte seine Ablenkung und verpasste ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Schmerz explodierte in Vans Wange, es klingelte in seinen Ohren. Doch er war daran gewöhnt und holte reflexartig zum Gegenschlag aus. Er traf den anderen Mann mitten auf die Nase.
Schwarze-Basecap ächzte, ging in die Knie und hielt sich die Hände vors Gesicht. Blut tropfte auf den schmutzigen Asphalt.
„Sie sollten gehen, Gentlemen“, sagte Van so ruhig wie möglich.
„Hurensohn“, zischte Rotes-Longsleeve. Er ging zu Mr. Gatlin und packte ihn unter dem Arm. Schwarze-Basecap trat an die andere Seite des Drogendealers, der Van mit hasserfüllten Augen anstarrte. Blut rann von seiner Schläfe hinunter.
„Das wirst du noch bereuen!“
Tue ich jetzt schon, dachte Van – aber nicht so, wie Mr. Gatlin seine Drohung gemeint hatte.
Die drei Mistkerle humpelten davon und verschwanden um die nächste Ecke. Van warf einen kurzen Blick zu der Rothaarigen – sie lehnte an einem der Müllcontainer – und sah sich nach seinem Handschuh um. Er wischte sich die Hand an der Jeans ab, hob das Leder auf und schlüpfte hinein.
Viel zu spät, denn das Unheil war schon geschehen.
„Gehen Sie ins Haus und rufen Sie die Polizei, Ma’am.“ Schuld und Reue drückten auf Vans Brust und machten ihm das Atmen schwer. Zudem pochte sein Gesicht von dem Schlag.
Die Frau starrte ihn an, ihre Wangen blass und ihre kugelrunden Augen ein helles Grün. „Danke, Sir.“
„Gehen Sie rein“, wiederholte Van. Endlich setzte sie sich in Bewegung, wankte in Richtung des Hintereingangs des Blumenladens. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um.
„Wollen Sie nicht mit reinkommen? Ich … ähm, ich kann Ihnen einen Kaffee machen, bis die Polizei ankommt. U-und vielleicht ein Eispack für Ihr Gesicht?“
„Danke, aber machen Sie sich wegen mir bitte keine Umstände. Ich warte hier draußen auf die Officers.“
Sie zögerte und Van befürchtete schon, dass sie nie gehen würde, doch dann nickte sie und schloss endlich die Tür hinter sich.
Mit einem lauten Keuchen atmete Van aus und rieb sich über das Gesicht. „Verfickte Hölle, warum musste das so verflucht schieflaufen?!“
Bittere Galle stieg seinen Hals hinauf. Langsam und mit steifen Gliedern drehte er sich um und lief Richtung Hauptstraße. Seine Aussage bei der Polizei wäre reine Zeitverschwendung, denn zum einen würden die Beamten die Mistkerle ohnehin nicht finden und selbst wenn, waren ihre Tage gezählt.
So wie die der Frau, dachte Van bitter.
Sie war so jung, vielleicht Anfang dreißig. Sie hatte noch viel Lebenszeit vor sich, aber Van hatte sie ihr genommen. Wäre er doch nur gegangen, als er noch die Chance dazu gehabt hatte. Die drei Typen hatten sie zwar belästigt, aber wer wusste schon, ob sie ihr wirklich etwas angetan hätten?
Jetzt allerdings wartete nur noch der Tod auf sie und das war alleine Vans Schuld. Immer wieder zupfte er an seinen Handschuhen, die ihm plötzlich viel zu eng erschienen. Er hätte sie niemals ausziehen sollen, nicht in Gegenwart von Unschuldigen. Aber anscheinend hatte er auch nach all den Jahrhunderten diese Lektion noch immer nicht gelernt.
Statt sich ein Taxi zurück zu rufen, machte sich Van zu Fuß auf den Heimweg. Vielleicht würden die knapp drei Stunden Fußmarsch ihn so sehr erschöpfen, dass er nachher einschlief.
Aber etwas sagte ihm, dass ihn das Gesicht der Rothaarigen noch lange verfolgen würde. Der zuerst verängstigte und dann dankbare Ausdruck in ihren Augen, die die Farbe von Jade hatten. Das feurige Rot ihrer Haare, ihre hohen Wangenknochen, der Schimmer ihrer hellen Haut und die zarte Wölbung ihrer Unterlippe.
Abermals das Gesicht einer zum Tode Verurteilten, das ihn heimsuchte.