Der zweite Band der Dark-Academia & Romantic-Fantasy-Reihe "Cadill Professors"
Noura hatte sich immer für eine pragmatische, gelassene und ruhige Person gehalten. Für jemanden, der sich mit den Fakten beschäftigte, egal, wie brenzlig oder unangenehm die Situation war.
Jetzt jedoch musste sie feststellen, dass auch ihre Geduld Grenzen hatte und dass es lediglich Angestellte der Behörde für magische Vorfälle bedurfte, um diese Grenzen einer sehr harten Probe zu unterziehen. Seit dem Dimensionsriss war eine Woche vergangen und die Ermittler der Behörde stellten alles auf den Kopf.
»Ms. Bakshi, Sie –«
»Doktor«, korrigierte Noura die Untersuchungsleiterin Ms. Sherman zum wiederholten Mal. Sie bestand nicht zwingend auf die Verwendung ihres Titels, doch in Gegenwart dieser Personen erschien es ihr unbedingt nötig.
Die Frau Mitte fünfzig warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Nun, Doktor Bakshi. Fassen wir noch einmal zusammen: Sie sind die Trägerin der Gabe zur Beschwörung von Dimensionswesen.«
»Ja.«
»Und Sie haben ein solches Wesen zum ersten Mal beschworen, da waren Sie zu Ihrer Schulzeit vier Monate hier an der Cadill?«
»Ja.«
»Hm«, murmelte Ms. Sherman und blätterte durch ihre Unterlagen. »Ein fuchsähnliches Wesen namens Ljubi oder Kyubi, nicht wahr?«
»Kyro«, korrigierte Noura. Es war das dritte Mal, dass die Untersuchungsleiterin den Namen ihres Freundes falsch wiedergab. Noura vermutete eine Taktik dahinter und das machte sie zusätzlich wütend.
»Wie auch immer«, seufzte Ms. Sherman. »Würden Sie bitte nochmals erläutern, wie Sie den angeblichen Dimensionsriss erlebt haben?«
»Müssen Sie das wirklich zum fünften Mal von mir hören?«, fragte Noura und bemühte sich um Ruhe. »Außerdem war es kein angeblicher Dimensionsriss. Er hat stattgefunden, wie die anderen Beteiligten Ihnen sicher unabhängig voneinander bestätigt haben. Die Überreste des zweiten Monsters sind Beweis dafür, dass es den Riss tatsächlich gab.«
Die beiden Beisitzer, die Ms. Sherman mitgebracht hatte, schrieben fleißig mit. Noura hatte keine Ahnung, warum. Sie lieferte diesen Bericht ja nicht zum ersten Mal. Auch die anderen Gabenträger hatten dieses Verhör schon mehrfach über sich ergehen lassen müssen.
Ms. Sherman tippte mehrfach auf den Bericht. »Nun, die sogenannten Überreste sind nichts weiter als Steinbrocken. Kaum ein stichhaltiger Beweis, finden Sie nicht? Wie auch immer, bitte schildern Sie uns Ihre Erfahrungen.«
Innerlich zählte Noura langsam bis fünf, um sich zu beruhigen. Jetzt die Nerven zu verlieren wäre kontraproduktiv.
»Der Riss öffnete sich während einer Gruppenübung mit den anderen Gabenträgern. Lokalisiert war er auf einer Lichtung im Wald hinter den Schulgebäuden Zunächst haben wir nur ein Wesen bemerkt, das ich mit der Hilfe der anderen in seine Heimatdimension zurückdrängen konnte. Es hatte sich aber noch ein zweites Wesen durch den Riss geschoben. Das bemerkten wir erst einen Tag später.«
Ms. Sherman nickte. »Hm ja, das zweite griff am Folgetag Jonas Irwing an. Ms. Eriksen eilte ihm zur Hilfe und behauptet, das Wesen in Stein verwandelt zu haben.«
»So ist es,« bestätigte Noura. Das Tastaturklackern von den beiden anderen Beamten zerrte an ihren Nerven.
»Das ist ein wenig weit hergeholt, finden Sie nicht? Bisher ist es noch keinem Träger der Gabe gelungen, die Moleküle lebender Organismen umzuformen.«
»Das ist kein Grund, warum Lianne diese Fähigkeit nicht entwickelt haben sollte. Immerhin stand sie unter großem Stress und wollte Jonas beschützen.«
»Hm.« Ms. Sherman versuchte gar nicht, ihre Skepsis zu verstecken. Kein Wunder, dass Liannes Befragungen dreimal so lange gedauert hatten wie die er anderen.
Ms. Sherman ließ ihren Kugelschreiber klicken. »Das ist der erste Dimensionsriss seit dreihundert Jahren. Finden Sie nicht auch, dass es ein besonders … günstiger Zufall war, dass sich dieser Riss ausgerechnet hier zugetragen hat?«
»Ich würde es eher als Glück bezeichnen. Andernfalls wären sicher mehr Verletzte und womöglich Tote zu beklagen gewesen.«
»Wohl wahr, wohl wahr.« Ms. Sherman blätterte weiter durch ihre Unterlagen. »Nochmal zurück zu Ihrer Gabe und Ihrer Schülerin … Audrey Garrett. Sie hat bereits ein Dimensionswesen beschworen?«
Noura unterdrückte ein Seufzen. »Ja, das stimmt.«
»Seit wann unterrichten Sie das Kind?«
»Seit zwei Monaten.«
»Das ist eine sehr kurze Zeit, finden Sie nicht? Sie haben doppelt so lange gebraucht. Können Sie wirklich ausschließen, dass das Mädchen Fehler gemacht hat? Immerhin ist es ihre Gabe, Pforten zu anderen Dimensionen zu öffnen. Bestünde nicht die Möglichkeit, dass Ms. Garrett den Dimensionsriss verursacht und die Monster beschworen hat?«
»Wie bitte?«, fragte Noura, schwankend zwischen Entgeisterung und Rage. Magie knisterte in der Luft und Noura ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass sich ihre Nägel in die Handballen gruben.
Die Untersuchungsleiterin hingegen bemerkte nicht, wie kurz Noura davor war, die Kontrolle über sich und ihre Gabe zu verlieren.
»Ist es möglich, dass Ms. Garrett den Riss verursacht hat?«, fragte Ms. Sherman ungerührt.
»Ich sage das jetzt mit aller Deutlichkeit.« Noura starrte Ms. Sherman fest in die Augen. »Audrey ist eine hervorragende Schülerin, nicht nur was den Spezialunterricht für ihre Gabe anbelangt. Sie würde niemals etwas tun, das ihre Freunde oder andere Menschen gefährdet – nicht einmal unabsichtlich. Außerdem hat noch kein Träger unserer Gabe jemals ein Wesen beschworen, das der Menschheit feindselig gegenüberstand.«
»Hm, ja … solch einen Vorfall haben wir nicht in den Akten gefunden«, sagte Ms. Sherman schleppend, als würde diese Tatsache ihr gegen den Strich gehen.
Noura hatte ein ganz mieses Gefühl. Von den anderen Gabenträgern und auch von Vanja wusste sie, dass sie alle befragt worden waren, als wären sie die Tatverdächtigen und nicht diejenigen, die einen Dimensionsriss erfolgreich und ohne Kollateralschäden versiegelt hatten.
»Ms. Sherman«, sagte Noura. »Ich bitte Sie dringend – nicht nur als Gabenträgerin, sondern auch als Professorin dieser Akademie – dass Sie und Ihre Kollegen davon Abstand nehmen, den jungen Gabenträgern solche Suggestivfragen zu stellen. Die Kinder sind von dem Vorfall genug traumatisiert, da ist ein solches Verhör nicht angebracht.«
»Bei allem Respekt, aber erzählen Sie mir nicht, wie wir unsere Arbeit zu tun haben, Ms. Bakshi.«
»Doktor«, korrigierte Noura abermals.
»Wie auch immer«, schnaubte Ms. Sherman und klappte ihre Akte zu. »Sie können gehen.«
Noura stand auf und verließ wortlos den Besprechungsraum. Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, atmete sie geräuschvoll aus und massierte sich die Nasenwurzel. Jede Minute mit dieser unverschämten Frau war reine Folter.
Abgekämpft, als hätte sie eine große Schlacht geschlagen, machte Noura sich auf den Weg in den Lehrertrakt. So gestresst war sie nicht einmal während ihres Studiums gewesen, als sie Vierundzwanzig-Stunden-Schichten in der Notaufnahme einer Tierklinik geschoben hatte.
Wenn sie alle Glück hatten, dann würden die Beamten noch an diesem Nachmittag abreisen. An diese Aussicht klammerte sich Noura wie an einen Rettungsanker.
Auf dem Weg zurück in den Lehrtrakt begegnete Noura niemandem. Die Schüler, die als Sicherheitsmaßnahme zu ihren Eltern geschickt worden waren, würden erst am Sonntag wieder zurück an die Cadill Academy kommen. Die Flure, Aufenthaltsräume und auch das Geländer der Schule waren gespenstisch verwaist.
Zu Nouras Überraschung wurde sie in ihrem Büro erwartet, nicht nur von Reyna, mit der sie sich den Raum teilte, sondern auch von Vivek und Lianne, die mit je einer Tasse in Händen auf der Fensterbank saßen. Reyna lümmelte auf ihrem Bürostuhl, die Beine auf den Schreibtisch gelegt.
»Und?«, fragte Vivek.
Noura gab ein missmutiges Brummen von sich. Müde ließ sie sich auf ihren eigenen Bürostuhl fallen.
»Autsch«, sagte Lianne mit einem schiefen Lächeln. »So schlimm?«
»Wahrscheinlich nicht so schlimm wie bei dir«, entgegnete Noura. »Aber ja … ihre Fragen waren dieses Mal sogar noch unverschämter. Es hat sich irgendwie so angehört, als wäre Ms. Sherman unzufrieden mit den Ergebnissen ihrer Untersuchung.«
Reyna schüttelte den Kopf. »Dabei können sie froh sein, dass wir uns um die Monster gekümmert haben und sie beim Durchkämmen der Insel nichts gefunden haben.«
»Sehe ich auch so«, sagte Vivek, stellte seine Tasse ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah genauso unzufrieden aus, wie Noura sich fühlte.
»Ich hoffe nur, dass Ms. Sherman nicht auch noch unsere Schüler belästigt«, sagte Noura und klopfte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte. »Ich will nicht, dass sie Audrey oder den anderen einen Floh ins Ohr setzt.«
Vivek schüttelte den Kopf. »Soweit ich es von Vanja und Wyatt mitbekommen habe, war eine andere Einheit der Behörde für die Befragung der Kids zuständig.«
»Jonas meinte, dass seine Befragung ganz okay lief«, ergänzte Lianne und Reyna fügte hinzu: »War bei Caden auch so. Außerdem waren seine Mütter dabei und die haben sicher auf ihn aufgepasst.«
Vivek und Lianne nickten. Noura hatte in der vergangenen Woche mehrfach mit Audrey telefoniert und gechattet, um sicherzugehen, dass es dem Teenager gut ging. Auch ihre Eltern waren bei der Befragung dabei gewesen.
Dennoch … ein Rest ungutes Gefühl verblieb in Nouras Magengegend.
»Lianne? Steht dein Angebot noch, dass wir gemeinsam die Aufzeichnungen unserer Vorgängerinnen und Vorgänger sichten? Heute Morgen kamen die letzten Kisten aus dem Archiv und ich will ehrlich sein … so gerne ich auch lese, diese Massen an Berichtsbüchern schaffe ich nicht.«
»Ja, sehr gerne«, sagte Lianne. »Ich … ich will auch wissen, ob irgendein Gabenträger vor mir lebende Materie umwandeln konnte.«
»Hast du es seitdem nochmal versucht?«, fragte Reyna.
Lianne nickte. »Mit Pflanzen, aber ich bin gescheitert. Entweder hatte ich nicht die nötige Motivation oder es klappt nur mit Tieren – und das will ich nicht testen.«
»Verständlich«, murmelte Noura. »Danke auf jeden Fall schon jetzt für deine Hilfe. Treffen wir uns morgen früh um acht in meinem Appartement?«
»Morgen wird das leider nichts«, sagte Lianne bedauernd. »Ich hatte Hank versprochen, mit ihm nochmal die Reparaturliste durchzugehen und die dringendsten Arbeiten zu erledigen. Damit werden wir den ganzen Tag beschäftigt sein.«
Vivek an ihrer Seite sah unglücklich aus. »Bist du sicher, dass du dafür schon wieder fit genug bist?«
»Ja, bin ich«, betonte die Rothaarige geduldig. »Schon seit drei Tagen, aber das wollt ihr mir ja alle nicht glauben.«
»Aber du warst sehr ausgebrannt, genauso wie Reyna. Ihr müsst euch noch weiter schonen und –«
»Lianne hat recht«, schnitt Reyna ihm das Wort ab. »So lieb du deine Fürsorge auch meinst, du gehst uns beiden damit auf die Nerven. Also hör bitte auf damit, ja? Denn wenn du mir noch einmal ungefragt einen Energieriegel zuschiebst, beiße ich dich.«
»Tut mir leid, dass ich mir Sorgen um meine Partnerin und meine beste Freundin mache«, erwiderte Vivek mit eindeutig sarkastischem Unterton.
Reyna lachte und warf Vivek einen Luftkuss zu. Während die beiden sich weiter kabbelten, beobachtete Noura Lianne. Ihr war nicht entgangen, wie Liannes Gesicht bei seinen Worten aufgeleuchtet hatte. Um das nicht zu sehen, hätte sie schon blind sein müssen. Es war … kitschig und doch irgendwie anrührend, dass die beiden endlich zueinandergefunden hatten.
Besonders aber freute sich Noura, weil Lianne endlich in den Kreis der Gabenträger ihrer Generation aufgeschlossen hatte. So, wie es schon immer hätte sein sollen. Und weil Noura sich wünschte, dass sich Lianne weiterhin wohl an der Cadill fühlte, wollte sie wirklich mit ihr zusammen die Recherche weiter vorantreiben.
»Kein Problem«, sagte Noura laut genug, um Reyna und Vivek zu übertönen. »Die Bücher laufen uns ja nicht weg. Gib einfach Bescheid, wenn du Zeit hast.«
Jemand klopfte und trat gleich darauf ein, ohne auf ein »Herein« zu warten. Es war Vanja. Dey sah ebenfalls abgekämpft aus, deren sonst so sorgfältig frisierter Zopf war in Unordnung und dunkle Ringe lagen unter deren Augen.
»Du liebe Güte, Vanja«, murmelte Reyna, stand auf und drehte ihren Stuhl in Richtung der Schulleitung. »Setz dich, bevor du zusammenklappst. Du schaust schlimm aus, wenn ich das so sagen darf.«
»Ja, so fühle ich mich auch. Aber zum Hinsetzen habe ich keine Zeit.« Vanja lehnte sich an den Türrahmen und lockerte das lachsfarbene Halstuch.
»Schlechte Neuigkeiten?«, fragte Lianne besorgt.
»Nein, zum Glück nicht. Oder ich weiß noch nichts davon und von mir aus kann das auch erstmal so bleiben.« Vanja seufzte tief. »Es trifft sich gut, dass ihr alle hier seid. Ms. Sherman hat mir gerade mitgeteilt, dass sie und ihre Mitarbeiter die Insel verlassen, sobald die Ebbe einsetzt. Außerdem hat sie Entwarnung gegeben und wir dürfen die Schülerinnen und Schüler wieder zurückrufen.«
»Den Göttern sei Dank«, ächzte Reyna und Noura atmete erleichtert durch.
»Wann willst du die Kids wieder herholen?«, fragte Vivek.
»Sonntag«, antwortete Vanja. »Ich habe die Benachrichtigung an die Eltern bereits fertig und muss sie nur noch rausschicken. Davor allerdings wollte ich euch und auch den anderen Bescheid geben. Habt ihr Einwände gegen Sonntag?«
»Nein«, antwortete Noura.
Vanja lächelte. »Sonst jemand irgendwelche Einwände? Nein? Sehr schön. Dann suche ich mal die anderen und rede mit ihnen. Wir sehen uns.«
Vanja drehte sich um und eilte davon.
Noura atmete tief durch. Sie konnte es kaum noch erwarten, dass wieder der normale Alltag an der Cadill Academy Einzug hielt. In den letzten Monaten waren diese Mauern wieder zu ihrem Zuhause geworden. Unter den anderen Professoren und Angestellten hatte sie Freunde gewonnen, und auch die Arbeit mit Audrey machte ihr Freude. Das alles wollte sie nicht verlieren – egal, ob an die Monster aus einer feindlich gesinnten Dimension oder die pedantischen Behördenmitarbeiter.
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